Vom Himmel hoch

 

R. Hugh

 

Bauer Fejad saß hoch oben über der Erde auf seinem starken Traktor. Kraft. Lärm. Zittern. Bewegung. Und dahinter die Erde aufreißen. Schließlich musste auch in solchen Zeiten die Arbeit getan werden.
Lange Furchen entstanden und erstreckten sich bis zum Horizont, auf die Berge zu. Weit entfernt konnte man die Stadt erahnen. Es herrschte gute Sicht. Bei genauem Hinsehen konnte man den Fernsehturm erkennen. Das höchste Bauwerk der Erde, wie die Leute behaupteten.
Leise Töne schwangen mit dem Wind von der Stadt herüber. Ein Heulen, das im Lärm des Traktors unterging. Minutenlang. Dann Stille. Auf der alten Bahntrasse quälte sich eine weiterer Zug beladen mit schwerem Gerät der Armee in Richtung Grenze. Fejad sah hinüber, beobachtete die lange Reihe schwarzer Schatten beladener Waggons, die von drei schweren, Dieselrauch in die Luft pustenden Loks gezogen wurden. Diese Vielzahl von Zügen war ungewöhnlich. Sie fuhren schon den ganzen Vormittag, als ob sie die gesamte Armee an die Grenze verlegen würden. Und auch vom Flughafen, an der anderen Seite der Stadt stiegen ungewöhnlich viele Maschinen auf. Über die Schnellbahntrasse waren Züge gehuscht, die nicht im Dorf gehalten hatten. Wozu sollten sie auch. Es war niemand mehr da. Sie waren alle weggebracht worden. Vor zwei Tagen schon waren die letzten gegangen. Fejad war geblieben. Jemand musste schließlich die Arbeit tun.
Furche um Furche zog der Pflug hinter seinem Traktor. Das Rattern des schweren Zuges verklang in der Ferne. Fejad hörte nichts davon. Am Wald, wo sie vor einer Woche den Fallschirmspringer aus seiner misslichen Lage befreit hatten, wendeten Fejad seine schwere Maschine.
Hoch oben vom blauen Himmel tauchte ein silberheller Streifen tänzelnd herab. Zögernd schlich sich ein Wort in Fejads Gedanken: Kondensstreifen. Er brachte seinen Traktor wieder auf Kurs. Die Sonne blendete ihn kurz. Eine Woge von Licht raste durch Fejads Gehirn, weckte eine Flut von Assoziationen. Eine davon: eine Bombe!
Fejad drehte sich kurz um, schaute nach hinten. Die Furche drängte sich aus der Geraden, querte bereits über die benachbarte Reihe.
Er sah sie fallen, die Bombe. Ein schmales, glitzerndes Ding, das seinen Schwanz aus leuchtenden Gasen weit hinter sich gelassen hatte. Fejad hatte gelernt, wie alle, aber er saß da wie gelähmt. Der Traktor fuhr weiter, ohne dass er darauf achtete, wohin. Das glitzernde kleine Etwas fiel weiter der Erde zu, lautlos, unendlich langsam, erreichte sie nie. Plötzlich war es verschwunden, hatte sich verbunden mit dem Grau, das wie eine Glocke über der Stadt hing.
Licht kam. In Fejad war Bewegung. Er riss die Arme vors Gesicht, schloss die Augen, drehte sich weg von der Stadt, ließ sich vom Traktor fallen und in eine der frischen Furchen rollen, drückte den Kopf gegen die Erde, die Arme schützend darüber gelegt. Nichts geschah. Der Traktor fuhr weiter, ohne seinen Steuermann. Und Fejad wartete. Nichts. Ihm schien Ewigkeiten. Dann hob er den Kopf, schaute vorsichtig Richtung Stadt. Da war nichts mehr von einer Stadt. Staub, Rauch und Trümmer wälzten sich ihm entgegen, einer hohen Woge gleich, die den Ozean aufwühlt, wie er es als junger Mann einmal gesehen hatte. Daraus hervor stieg eine Blume, und stieg und stieg und stieg, schnell, sehr schnell, entfaltete ihre Knospe, quoll nach außen, quoll und : Lärm drang an Fejads Ohr. Ein Pfeifen, wie es dicht an einem Schienenstrang zu hören ist, kurz bevor der Zug aus dem Tunnel hervorschießt. Dann raste Wind brausend über das Feld und hob vor Fejads gelähmten Augen die frisch gepflügten Schollen an, schlang sie hinein, wie ein Mähdrescher im Herbst das Korn in den Schlund der sich drehenden Walze aus Schutt und Staub, die er vor sich herschob.
Und dann war es vorbei mit der Langsamkeit der Zeit. Staub hüllte den Bewegungslosen Fejad ein, wirbelte an ihm vorbei, schlimmer als die Gischt, an die er sich plötzlich erinnerte: er, ein junger Mann auf dem Schnellboot. Die Gischt peitschte ihm ins Gesicht, schneller als Fejad dachte, dass sich etwas je bewegen könnte.
Etwas krachte neben ihm auf den Boden, wirbelte davon, etwas keilte sich unter ihn, etwas griff nach seiner Kleidung, riss sie ihm in Fetzen vom Leib, etwas rieb an seiner nackten Haut. Feuer. Etwas hob ihn hoch, wirbelte ihn herum, als sei er eines der Trümmer. Etwas blies das Feuer wieder aus, etwas knallte gegen seine Brust, wie eine Wand. Etwas war barmherzig und ließ ihn das Bewusstsein verlieren...
Er lag auf dem glatt gefegten Feld, als er zu sich kam. Kein Gras, kein Baum, keine Bodenkrümel. Glattgefegt, wie der weite Strand an der Küste von... Fejad war der Name entfallen. Er hatte nicht mehr die Fähigkeit, Namen zu denken. Er konnte nur noch sehen und fühlen. Seine brennende Haut, rot: das war keine Haut. Rohes Fleisch. Seine Finger, die sich schmerzend in den harten Boden krallten und nichts fanden, sich daran festzuhalten.
Weiter entfernt erhob sich ein Wall, der einmal eine Stadt gewesen war. Darüber wölbte sich unschuldig grau ein Himmel. Unbegreiflich unschuldig.

 

 

 

© 1980/2002

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ernst-walter hug
schwäbisch hall

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